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FN-Sieg in Frankreich? Und sage keiner, er hätte nichts gewusst….

img_5263_1Nach all den Schocks des Jahres 2016 blicken viele Bürger mit nicht weniger Sorge auf das neue Jahr: Welche Hämmer wird uns dieses Jahr bescheren – nach dem Erdbeben Trump-Wahl, dem Brexit, unzähligen Terrorattacken im In- und Ausland. Zu den diversen Sorgenthemen dieses Jahresbeginns gehört auch die Präsidentschaftswahl in Frankreich, eingeklemmt im April zwischen Parlamentswahlen in den Niederlanden im März und in Deutschland im September.

Die jüngsten Entwicklungen in Frankreich, dem heutigen „kranken Mann Europas“ brachten zum Glück ein wenig Hoffnungsschimmer, mit einem konservativen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen, der – im Gegensatz zu den regierenden Sozialisten – imstande sein könnte, zumindest im 2. Wahlgang genug Wähler von Rechtsaussen Marine Le Pen abzuziehen. Sofern er sich bis dahin nicht selbst demontiert, siehe sein jüngster Skandal um seine Frau. Von den Vorwahlen der Sozialisten im Januar für ihren Präsidentschaftskandidaten hingegen dürfte  nichts Entscheidendes zu erwarten sein.

Warum ist der Front National von Marine Le Pen für viele Franzosen so attraktiv? Manches Mal sieht es eher nach einem Akt der Verzweiflung als wirklicher Überzeugung aus: Alles haben wir versucht, sagen sich die Wähler, insb. in der vernachlässigten Provinz, die Konservativen – hat nichts gebracht; die Sozialisten – auch nicht besser. Vielleicht schafft es ja der FN… Innenpolitisch ist Frankreich ist blockiert und erstarrt. In einem drastischen ZEIT-Interview vom 7. Januar 2017 erklärt der französische Historiker Emmanuel Todd rund heraus „Die Wirtschaft fault, die Gesellschaft fault“. Die Mittelklasse (deren Religionsbindung sich ebenfalls im Niedergang befindet, NDLR) fixiere sich auf den Islam als Sündenbock, wolle die Geschichte anhalten und nehme widerstandslos die Deindustrialisierung hin, was den Erfolg des FN erkläre. Die Franzosen seien Verlierer der Globalisierung. Sein Eindruck sei, dass die politische Klasse die Ereignisse (die Terroranschläge, NDLR) benutze, um weiterhin nichts zu tun. Christlicher Glaubensverlust und soziale Krise seien ein Rezept fürs Desaster, befindet er. Doch im Gegensatz zu Deutschland dauere die Krise in Frankreich an.

Katastrophen-Szenario Marine Présidente

img_5235_1Spielen wir doch sicherheitshalber schon einmal durch, welche Folgen ein Sieg des Front National in Frankreich in der Praxis hätte…  Ganz anschaulich wird da für des französischen mächtige Leser in einem schwarz-weissen Polit-Comic unter dem Titel „La Présidente von Francois Durpaire und Farid Boudjellal “ über die ersten 100 Tage von Marine Le Pen im Elysée-Palast spekuliert. Noch nie war ein Sieg des FN so sehr in Reichweite. Dieses Buch aus dem Jahre 2015 richtete sich selbstverständlich an die heimische Leserschaft, aber auch für deutsche Leser ist es wichtig zu wissen, auf was man sich hierzulande einzustellen hätte…

Basis ist das Parteiprogramm des FN, das wahrscheinlich nur wenige FN-Wähler gelesen haben werden. Voraussetzungen für dieses Szenario waren vier Bedingungen : Ein Sieg von Nicolas Sarkozy seitens der Republikaner (heute eher ihr Kandidat Francois Fillon), das Auftreten eines starken Kandidaten des Zentrums (heute vielleicht der ehemalige Wirtschaftsminister von F. Hollande, Emmanuel Macron, im Aufwind), der Wegfall der Kandidatur von Sarkozy/Fillon im 2. Wahlgang wegen der Spaltung der Konservativen und schliesslich die Nichtübertragung der Stimmen der Rechten auf einen Kandidaten der Sozialisten(damals F. Hollande, der 2017 nicht mehr antritt). Gut, das Szenario hinkt heute ein wenig. Ein Kandidat der Sozialisten, wer auch immer, dürfte diesmal keine Chance mehr haben. Gegenspieler von Le Pen wäre dann entweder François Fillon oder gar Emmanuel Macron, wobei die Frage bliebe, ob z.B. die Stimmen von Macron und aller sonstiger Sozialisten auf Fillon übertragen würden, um Le Pen zu stoppen. Möglich – aber nicht sicher.

Paukenschlag am Abend des 2. Wahlgangs, dem 7. Mai 2017, nach Marine Le Pens Sieg. Hauptpersonen sind, natürlich, die neue Präsidentin und ihre politische Entourage, aber vor allem das Volk, das Dissidente, repräsentiert von Antoinette, Anhängerin der Résistance und Altachtundsechzigerin, mit Kurzhaarschnitt und dicken Ohrringen. Sekundiert von ihren drei Enkeln, Stephane und Tariq, Turnlehrer sowie Tati, Jurastudentin aus dem Senegal im Afro-Look. Stephane führt einen kritischen Blog mit dem Titel „résistance.fr“, auf dem er die Ereignisse dokumentiert. Alle drei Enkel sind auf Omas kritischer Linie.

Diese Zwei-Generationen-WG dient als Rahmenhandlung und Veranschaulichung der praktischen Auswirkungen auf das „Volk“ zugleich, das oppositionelle.

Der Vorteil dieses Politikcomics ist, dass die Illustrationen die ziemlich abstrakten Thematiken veranschaulichen und das Verständnis erleichtern. Die Zeichnungen sind hyperrealistisch, mit Bildern aus dem Fernsehen, alle politisch relevanten Köpfe des Landes und bekannte Journalisten werden in Stellungnahmen und wechselnden Perspektiven präsentiert, man fühlt sich, als wäre man live dabei. Manche Bilder reichen über zwei Seiten, z.B. die internationale Presseschau nach dieser Erdbeben-Wahl. Das Buch ist tagebuch-ähnlich konzipiert, Sprache und Bilder entsprechen den realen Fernsehjournalisten. Ansonsten schaut der Leser Marine viel beim Regieren zu – und dem Volk beim Demonstrieren. Das Buch beinhaltet ferner zahlreiche technische oder politische Backgroundinformationen wie z.B. zum Thema Geschichte von Neukaledonien und den Möglichkeiten der digitalen Überwachung heutzutage, sehr aufschlussreich.

Entstehung des Front National

img_5236_1Le Pens Wahlerfolg ist natürlich Anlass für einen Rückblick auf die Entstehung des FN, der 1972 aus dem neofaschistischen Grüppchen Ordre Nouveau hervorging. Er sollte ein Sammelbecken von ehemaligen Poujadisten und neonazistischen Pétainisten-Gruppen für eine nationale Rechte sein. Jean-Marie Le Pen, Marines Vater, übernimmt die Führung ein Jahr später. Es folgt ein Blick auf die Entwicklung der Partei bis heute, deren Beginn kümmerlich war, über die Abspaltung von Bruno Megret 1998 bis zur Weitergabe des Parteivorsitzes von Le Pen Seniors 2011 an seine Tochter. Die wiederum die Partei modernisiert, d.h. dediabolisiert, mehr in die Mitte rückt und vor allem Abstand von Papas antisemitischen Äusserungen nimmt, jedenfalls nach aussen. Der Inhalt ist unverändert. Marine befleissigt sich von nun an eines respektableren Tons. 2012 erzielt der FN in den Präsidentschaftswahlen im 2. Wahlgang 17,9 %, das beste Ergebnis der Partei bis dato und wird so die drittstärkste politische Kraft Frankreichs. Und bei den Europawahlen 2014 erzielt der FN sogar 24,86 % und wird die stärkste Partei Frankreichs. Nur zählen – zum Glück – die Europawahlen in Frankreich nicht besonders… sonst hätten die Franzosen vermutlich nicht so abgestimmt.

Sonntag, den 7. Mai 2017: Marine ist Présidente geworden– bei unglaublichen 37,50 % Enthaltungen, der stärksten „Partei“ Frankreichs, zahllose Franzosen waren also unentschlossen bzw. votierten für keine der vorhandenen Parteien. Papa triumphiert. Gleich am Wahlabend bürgerkriegsähnliche Zustände im Lande.

Einzug in den Elysée-Palast

img_5237_1Die Präsidentin macht sich an die Arbeit, das Land umzukrempeln. Die erste Frage lautet sogleich, wie bekommen wir eine Regierungsmehrheit zusammen? Mit anderen Worten, wie können wir die Republikaner dazu bringen, gar überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten? Nun, an ein paar Opportunisten soll es, wie üblich, nicht scheitern… Ein liberaler Zentrist, Gérard Longlet, ist bereit, den Premierminister-Job zu übernehmen. Und wer wird Minister? Wichtiger als Personen ist hier für den Leser, wie die FN-Präsidentin die Schwerpunkte der politischen Umgestaltung inhaltlich setzt: Als erstes werden die Familienministerin (demografische Aufrüstung, sprich: bekommt mehr Kinder!) und die Bildungsministerin (Indokrination, von Kindesbeinen an, unseligen Angedenkens in Deutschland) ernannt, die Schlüsselressorts der Rechten. Absingen der Marseillaise jeden Montagmorgen in den Schulen. Neu ist ein Ministerium der „Souveraintés“, Frankreich will ja wieder souverän werden, in jeder Hinsicht, und eines der „sozialen Harmonie“ (das klingt schon fast nach Nordkorea). „Es ist modern, reaktionär zu sein“, verkündet einer der FN-Politiker. Eine bittere Wahrheit heutzutage. Den angekündigten Euro-Ausstieg, per Referendum, verschieben wir aber lieber auf die Zeit nach der Sommerpause, um nicht gleich unnötige Panik zu stiften, weder im In-, noch im Ausland.

Als erstes Treffen mit der deutsche Bundeskanzlerin . Wie würde Berlin reagieren? Eisig, so viel kann schon verraten werden. Merkel erinnert Mme Le Pen an die von Frankreich eingegangen Verpflich-tungen der EU gegenüber.

Und wie würde ein neues Parlament aussehen? Defacto wäre es dreigeteilt in Parti Socialiste und Alliierte, den rechten Flügel der Republikaner (soweit er nicht mit dem FN zusammenarbeitet) und natürlich den Front National.

Erste Massnahmen

img_5271_1Was unternimmt Marine als Erstes, unter dem Motto „La France, aimez-la ou quittez-la!“

„…ou quittez-la“: Das gilt sogleich den zahlreichen Illegalen im Lande, die würden festgenommen und müssten ausgewiesen werden, sie seien Delinquenten (falsch, weiss Antoinette).

Nächstes Opfer, die Medien, angefangen von der Fernsehstation TF1. Nach der Ernennung eines neuen FN-Fernsehdirektors von TF1 treten die Fernseh- und Rundfunkjournalisten in den Streik. Hintergedanke von Marine, sie will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell austrocknen, nein, letztendlich zum Schweigen bringen.

Es folgt der Schwerpunkt Sicherheitspolitik, die den Franzosen im Zeitalter des Terrorismus so sehr am Herzen liegt. Die Nationalgarde wird aufgerüstet, die Gendarmerie neugegründet, das Personal der Zollfahndung aufgestockt.

Aber weitaus schlimmer die Möglichkeiten der digitalen Überwachung, geradezu totalitär, auf die Marine nunmehr setzt. Sie sollen massiv ausgedehnt werden, wegen „Terrorismusgefahr“… Eine globale Netzpolizei soll geschaffen und Dossiers über alle 67 Millionen Franzosen angelegt werden, André Tulard, Vichy-Scherge, hatte in den Vierziger Jahren die Grundlagen gelegt. Und dafür brauchen wir ja zum Glück gar keine neuen Gesetze, die Vorgängerregierung Hollande hat ja schon den Boden bereitet!

Die heutigen technologischen Möglichkeiten bieten z.B. Blackboxen (wie im Flugzeug) zur Aufzeichnung aller Metadaten an den Knotenpunkten der Internetserver (Schleppnetzfahnung), das Abhören aller benachbarten Handy-Gespräche an falschen Handyantennen, sogenannten IMSI-Catchern, wahre Relais-Antennen.

Auch die Künstler, vor allem die kritischen und die mit Migrationshintergrund, und davon gibt es viele im Lande, kommen nicht ungeschoren davon, Rapper, Sänger, wegen „Aufhetzung“, „Begünstigung von Terrorismus“, „Beleidigung des Staatsoberhauptes“… werden verhaftet.

Klingt schwer nach Nazi-Gleichschaltung…  und Antoinette und ihre Enkel bekommen es gleich mit der Angst zu tun, allen voran Tati wegen ihrer Aufenthaltsgenehmigung. Es folgen Demonstrationen landauf landab, Verhaftungen, Massenausweisungen.

Beim Thema Wirtschaft, sprich Ausstieg aus dem Euro, wird es technisch: Marine will die „Rückkehr zur wirtschaftlichen Souveränität“. Was hat man sich darunter vorzustellen? Marine und ihre Berater diskutieren über die Rückkehr zum Franken (per Referendum), der ganze Haushaltsentwurf basiere auf dem Franken. Auf die Art und Weise könnte Frankreich zu Nullzinsen bei der französischen Zentralbank verschulden und den Grossteil der erhaltenen Gelder für die Rückzahlung der Staatsschulden und den Zinsendienst verwenden. Mit dem Ausstieg aus dem Euro bräuchte sich Frankreich auch nicht mehr um den Einhalt der Maastricht-Kriterien bei der Staatsverschuldung zu kümmern. Nur so könne die Wirtschaft wieder Luft bekommen und die Bürger zu neuem Wohlstand. Auf (in) die Zukunft, es lebe die Vergangenheit! Im Rahmen des Referendums könne man auch gleich den Verfassungsrat mitabschaffen, die Franzosen sollen selbst über ihr Schicksal entscheiden!

Das Referendum kommt, der Euro geht. Stephane findet einen Job.

img_5264_1Ganz Europa jedoch steht unter Schock, das ist das Ende Europas, wie wir es kennen. Alt-Sozialist Dominique Strauss-Kahn, skandalumwitterter ex-FMI-Chef, erläutert im Fernsehen die Tragweite dieser Entscheidung: Defacto spekuliere Frankreich auf Wettbewerbsvorteile (wie früher) durch eine 25%ige Abwertung des Franken gegenüber dem Euro. Dumm nur, dass die französischen Schulden in Euro zurückgezahlt werden müssen, und das bei abgewertetem Franken. Er sieht schon die französische Zahlungsunfähigkeit heraufziehen. Und den französischen Betrieben, die allein ihren Gläubigern (abgesehen vom Staat) 180-230 Milliarden EURO schulden, droht grosse Gefahr. Wobei der französische Staat noch einmal genauso hoch verschuldet ist. Laut unabhängigen Experten könnten nur 30 % der Kreditverträge, und zwar die nach französischem Recht, sofort in Franken konvertiert werden. Die restlichen 70 % laufen nach ausländischem Recht und müssen in Euro beglichen werden, einem teureren Euro! Mehrkosten von fast 300 Milliarden Euro in Sicht! Gut, das Regierungslager träumt immer noch vom „Big Bang“ einer Auflösung der Eurozone nach dem französischen Ausstieg, der Frankreich zuhilfe käme… völlig absurd! Mal zu Ende gedacht: Was würde z.B. aus den spanischen Staatsschulden in Euro nach chinesischen Recht, wenn es keinen Euro mehr gäbe?

Die französische Börse stützt schon mal entsetzt ab. Die französischen Aktien befinden sich nämlich zu 70 % in den Händen ausländischer Investoren, die Angst vor einer Abwertung des zukünftigen Franken sowie Kapitalkontrollen haben. Hat Marine die Verflechtung der französischen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft bedacht?

img_5268_1Und dann die Gefahren steigender Zinsen. Die ausländischen Investoren haben Angst, weil Frankreich, bekannt für seinen laxen Umgang mit den Staatsfinanzen, auf sich gestellt nicht mehr vom Schutzschirm deutscher Glaubwürdigkeit und deutscher „rigueur“ profitieren würde. Die FN-Regierung gäbe keine Garantien für eine Reduzierung der Staatsdefizite, das könnte den Staat teuer zu stehen kommen: 2 % höhere Zinsen entsprächen 5 Milliarden zusätzlicher Zinszahlungen im 1. Jahr, 10 Milliarden im 2. Jahr, 15 Milliarden im 3. Jahr…

Auch die französischen Sparer würden panisch auf den Ausstieg aus dem Euro reagieren und höchstwahrscheinlich sichere Häfen für ihre Ersparnisse in Euro suchen anstatt auf die vermeintliche Solidität des Franken zu setzen. Kapitalabflüsse… All das würde die Eurozone und ihre Banken rocken! Und Frankreich ist nicht so vergleichsweise unbedeutend wie Griechenland. Nur Deutschland würde von dieser Entwicklung profitieren, die anderen Südländer nicht.

Ja, aber, lautet der Einwurf, die massiven Ausweisungen von Personen mit Migrationshintergrund wären doch positiv für den französischen Arbeitsmarkt. Ganze Wirtschaftszweige wie die Bauindustrie und das Gaststättengewerbe haben ihre ausländischen Mitarbeiter verloren, die stünden doch jetzt Franzosen offen. Sofern die sie wollen… Antwort des Experten: Leider nein, das hätte Null Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit der Franzosen. Übrigens nahmen alle Nachbarn Frankreichs ausser Spanien mehr Ausländer als Frankreich auf – und hatten im Endergebnis weniger Arbeitslosigkeit als Frankreich! Langfristig würden die Folgen der Ausweisungen am schlimmsten sein. Laut UNO haben Migrationsbewegungen positive Auswirkungen auf das Wachstum eines Landes, sie schaffen nämlich zusätzliche Nachfrage (siehe Deutschland und die Flüchtlingskrise).

Welche Massnahmen würde Mme Le Pen nun in der Aussenpolitik ergreifen?

20161231_152242_1Das klingt nur auf den ersten Blick weniger dramatisch: Wie angekündigt, würde Frankreich aus dem integrierten Kommando der NATO austreten, da erinnert sich der Leser an De Gaulle. Die 2. Massnahme wäre eine Hinwendung zu Russland mit dem Angebot einer weitgehenden strategischen Allianz insb. einer militärischen und energetischen Partnerschaft. Von daher ein Angebot an Deutschland für eine trilaterale Allianz aus Frankreich, Deutschland, Russland. Mme Merkel wäre bestimmt nicht amused!

Was sollte da nur aus der EU werden? Vermutlich würde sie auseinanderbrechen. Ein Thema, das die Autoren leider nicht vertiefen. Immerhin schwebt Marine eine paneuropäische Union souveräner Staaten vor unter Einschluss von Russland und der Schweiz auf der Basis von Neutralität und nationalem Recht und Steuerpolitik. Mit Russland? Da lautete der Scherz schon vor langer Zeit „Russland (dieses riesige Land) der EU beitreten? Eher wäre das ein Beitritt der EU zu Russland!“ Angesichts eines Treffens von Mme Le Pen  mit Putin kommentiert der frühere Premierminister Dominique de Villepin, Marine Le Pen wollte nicht mehr so viel Abhängigkeit von den USA – aber grosse Abhängigkeit von Russland stört sie wohl nicht.

Asien indes spielte für Frankreich bislang keine grosse Rolle, abgesehen von China, also nichts wie hin! Afrika hingegen, traditioneller Verbündeter wegen historischer Bindungen, wird Marines Stiefkind, umso mehr als sie sich dort mit ihren Massenausweisungen keine Freunde (mehr) macht. Und das trotz der dortigen, beachtlichen Wachstumszahlen. Eigentlich schade um die französischen Exportmärkte dort.

20161231_152206_1In fernen Neu-Kaledonien im Südpazifik, immer noch französische Kolonie, laufen die Dinge rasch aus dem Ruder. Erneut geht es um die Unabhängigkeit von Frankreich, für 2018 war ein Referendum dazu angesetzt, das Marine absagt. Reaktion: Unruhen in der Hauptstadt, die Armee kommt zum Einsatz, explosive Lage. Zum besseren Verständnis bieten die Autoren dem Leser einen Abstecher in die dortige Kolonialgeschichte.

Im Dezember, drei Monate nach dem Austritt aus dem Euro, drängt sich die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung in den Vordergrund. Die Lage ist katastrophal. Im Fernsehen erläutern die Experten die Situation: Nach dem Ausstieg aus dem Euro haben die Finanzmärkte sogleich den jungen Franken attackiert, die Inhaber französischer Staatsanleihen selbige abgestossen, 4000 (!) Milliarden Euro, der Wert der französischen Ersparnisse, haben sich in Luft aufgelöst! Die Kapitalflucht konnte nur durch Kapitalkontrollen aufgehalten werden. Die Regierung hat den Franken um 30 % abgewertet. Für die französischen Konzerne belaufen sich die Verluste auf 36 Milliarden Euro. Wie schon bei der Finanzkrise von 2008 hatte auch die FN-Regierung nur die Wahl zwischen Implosion des Wirtschaftssystems oder Finanzspritzen des Staates in die Privatwirtschaft, ganz gleich, wieviel Defizite damit angehäuft wurden.

Die Abwertung des Franken geriet zwar zum Vorteil für die Exporte, doch vor allem führte die importierte Inflation zur Erosion der Kaufkraft der Franzosen. Resultat : Zusammenbruch der Kaufkraft (zunächst für Importprodukte), darauf Einbruch der Nachfrage, ergo der Produktion und daraufhin Explosion der Arbeitslosigkeit! War es das, was die FN-Wähler von Marine wollten? Schlechter dastehen als unter der Hollande-Regierung?

img_5272_1Die ersten Zerreissproben beginnen auf privater Ebene in unserer Familie, wo Fati in den heimatlichen Senegal ausgewiesen wird. Und Antoinette regt sich dermassen über die neuen Verhältnisse auf, dass sie mit 95 Jahren einem Schlaganfall erliegt. Bei der Beerdigung von Antoinette verliest Stephane einen Brief von Fati mit den warnenden Worten der Grossmutter: „Ihr könnt nicht sagen, ihr habt nichts gewusst“. Und die Franzosen auch nicht.

Politisch kippt die Lage im Januar 2018: Drohne über dem Parlament gesichtet. Was hat das zu bedeuten? Im Lande Grossdemonstration „Marche de la tolérance“ zum Jahrestag des Attentats auf Charlie Hebdo. Die wirtschaftliche Bilanz ist verheerend: Staatsverschuldung bei 130 %, Kaufkraftverlust der Angestellten 20-30 %, Streichung von einer Million Stellen.

In unserer Familie gehen den letzten Zweiflern die Augen auf über den neuen Überwachungsstaat, eine Diktatur „1984 2.0“: Ihre Webcam spioniert sie aus, daraufhin verkehren sie nur noch schriftlich miteinander.

Am Ende ein düsteres Bild: Putschdrohung durch die rechtsextremen Identitären mit Unterstützung des Militärs und Teilen des Geheimdienstes, der Parlamentspräsident Philippot in ihrer Hand. Abenteuerlich? Die ausländischen Banken spekulieren gegen die französischen Unternehmen, die Multis wollen das Land in die Knie zwingen, die Menschen haben Angst vor einem neuerlichen Absturz des Franken. Ausser Putin hat Frankreich keine Verbündeten mehr. Seit dem Ausstieg Frankreichs aus der Nato finanziert die CIA (unter US-Präsidentin Clinton) Agitatoren im ganzen Lande. Die Bevölkerung hat die ständigen Übergriffe der Polizei satt. Die Ausweisungen per Flugzeug haben derart zugenommen, dass sich niemand mehr in ein Flugzeug traut. Die Identitären sehen ihr Ziel erreicht und verlangen, einen der Ihrem als Premierminister! Was wird Marine tun???

Nichts ist ausgemacht. Nur gut, dass derzeit schon manche-r FN-WählerIn erwägt, vielleicht doch eher für Francois Fillon zu stimmen. Und auch Sozialist oder besser Zentrist Emmanuel Macron mischt die Wählergruppen auf, mit noch unbekannten Auswirkungen. Sollte er der Joker bei den Wahlen werden?

Es könnten also eisige Zeiten vor den Franzosen liegen, so eisig wie auf den Fotos, mit denen dieser Beitrag unterlegt ist.

La Présidente, von François Durpaire und Farid Boudjellal, Les Arènes BD, Demopolis, 158 S., November 2015

https://www.welt.de/politik/ausland/article161179858/Die-seltsame-Kaelte-der-blauen-Rose.html

„Die Wirtschaft fault, die Gesellschaft fault“ : http://www.zeit.de/2016/02/charlie-hebdo-terrorismus-frankreich-schuld