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Die Lügen der Zuckerindustrie

Es mag zwanzig Jahre oder mehr her sein, aber ich erinnere mich noch genau, wie ich in Dortmund im Kaufhaus shoppen ging – und von der schieren Grösse des Angebots bzw. Überflusses der Süsswarenabteilung schlichtweg erschlagen war und nur noch dachte, das ist doch pervers! So viel braucht doch kein Mensch! Wie soll man da noch eine Auswahl treffen können?! Und angeblich gibt es keine eindeutigen Beweise dafür, dass Zucker kein giftiger Stoff ist.

Diese ARTE Dokumentation von 2015 unter dem Titel „Die grosse Zuckerlüge“ deckt auf, wie die Zuckerlobby seit Jahrzehnten gegen diese Tatsache angeht und warum politisch nichts passiert.

In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der Übergewichtigen weltweit auf 600 Millionen Menschen angestiegen. Wie kam es dazu? ARTE macht Zucker den Prozess. Angeblich gebe es keine eindeutigen Beweise, dass Zucker eine tödliche Krankheit sei, so lautet die Strategie der Branche seit 40 Jahren. Und solange es keinen unwiderlegbaren Beweis gibt, kann die Branche überleben. Genau ist die damals die Tabakindustrie vorgegangen. Diese Strategie deckt ARTE in seiner sehr sehenswerten Dokumentation von 2015 auf.

Ist Zucker giftig, fragt ARTE. Eine Substanz, die doch die Menschen glücklich macht…  Neuere Forschungsergebnisse weisen genau darauf hin, dass Zucker – in grossen Dosen – giftig ist! Er verursacht Übergewicht und von daher Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Herzkreislaufkrankheiten und wahrscheinlich sogar Krebs und Demenz, erklärt ein Experte. Die Hälfte der Amerikaner (denen und den Kanadiern im Wesentlichen diese Dokumentation gewidmet ist) habe bereits eine nichtalkoholische Fettleber. Was niemanden in Europa wirklich überraschen dürfte angesichts der weiten Verbreitung von Übergewicht in den USA. Das Problem seien ganz allgemein industriell verarbeitete Lebensmittel. Derselbe Experte, Prof. R. Lustig, Kinderarzt und Endokrinologe von der University of California, verlangt sogar ein Verkaufsverbot von Cola an Kinder. Man stelle mehr und mehr Fettleber schon bei Kindern fest, Diabeten II-Fälle und natürlich Zahnprobleme. Er sieht Zucker heute als das grösste gesundheitliche Problem und als ein Versagen der Gesellschaft an.

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Okinawa und der westliche Ernährungsstil

Weltweit sei der tägliche Zuckerkonsum in den letzten 30 Jahren um 46 % gestiegen. Heute leiden nämlich auch die Menschen in Asien und Afrika an Krankheiten, die sich aus zu hohem Zuckerkonsum ergeben. Die Japaner sind die am längsten lebenden Menschen. Nehmen wir den Fall Okinawa: In Okinawa lebten die ältesten Japaner, dort gab es weniger Alterskrankheiten und bestimmte Krebsarten waren selten, insb. hormonell bedingte Krankheiten wie Brustkrebs. Z.T. liegt das an der Ernährung, z.T. an anderen Faktoren. Sie ernähren sich reich an Gemüse und an sehr ausgewogenen Eiweissstoffen. Doch das änderte sich nach dem Krieg, nach wenigen Generationen wurden die Menschen auf Okinawa die dicksten Japaner! Und auch die jüngeren Generationen von Japaner ernähren sich stärker im westlichen Stil, eine unheilvolle Entwicklung. Die Art der Ernährung ist also entscheidend.

In der ganzen Menschheitsgeschichte waren wir noch nie einem derart hohem Zuckerkonsum ausgesetzt wie heute. Vor 200-300 Jahren noch lag der Zuckerkonsum unter 2 kg/Jahr/Person. Heute bei 45 kg/Jahr/Person! Industriell verarbeitete Nahrungsmittel und Süssigkeiten haben sich von 1982 bis 2012 verdoppelt, Obst und Gemüse sind gleich geblieben, der Fleischkonsum hat abgenommen. Man stelle sich nur einmal vor, 74 % aller abgepackten Nahrungsmittel im Supermarkt enthalten Zuckerzusätze! Und die sind für den Konsumenten nicht leicht herauszufinden: Es gibt 56 verschiedene Bezeichnungen für Zucker, Saccharose, Rohrzucker, Ahornsyrup usw.  Wobei es hier um das Übermass geht: Laut der American Health Association sind 6-9 TL/Tag in Ordnung, die WHO erlaubt sogar 6-12 TL/Tag. Und der reale Verbrauch? In Europa werden durchschnittlich 17 TL/Tag verbraucht, in den USA gar 19,5 TL/Tag.

Auf den Spuren der Great Western Sugar Company und ihren Strategien

Die Zahnärztin Cristin Kearns, Leiterin des städtischen Gesundheitszentrums von Colorado, schockiert den Zuschauer mit ihren Erfahrungen: Ihr Alltag mit Patienten im Gesundheitszentrum aus benachteiligten Bevölkerungsschichten beträgt ein Loch pro Zahn oder sogar massiver Knochenschwund! Einem 45-Jährigen musste sie sämtliche Zähne ziehen! Als sie nach den Ursachen suchte, stiess sie in der Universitätsbibliothek auf die Unterlagen der Great Western Sugar Company, die in den späten Siebziger Jahren in Konkurs ging. Einem wahren Krimi sollte sie auf die Spur kommen. Doch zunächst bekam sie auf einer Ernährungskonferenz einen Ernährungsratgeber Fast Food in die Hand gedrückt, in dem stand :“ Gesüsster Tee ist ein gesundes Getränk“. Worauf sie den Autor ansprach und zu hören bekam, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass Zucker chronische Krankheiten verursache… Sie war sprachlos. Und sagte sich, da müssen Lobbyisten im Spiel sein.

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Sie schaut sich die gespendeten Firmenunterlagen zu Ernährung und öffentlicher Kommunikation an und entdeckt einen vertraulichen Brief des Zuckerverbandes von 1975 : Seitenweise wird dort im Sitzungsprotokoll für öffentliche Kommunikation die grosse PR-Strategie dargelegt, die der Verband der Zuckerindustrie in den 70ern umgesetzt hat. Die amerikanische Lebensmittelkontrollbehörde FDA ihrerseits überprüfte damals alle wissenschaftlichen Daten zu Zucker, die Firma wollte die Sicherheitszulassung der FDA bekommen. Dann ist da dieses Foto des Oscars der PR-Branche für Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Thema Risiken des Zuckerkonsums, den der Firmenleiter verliehen bekam! Schon damals gab es eine zunehmende Kontroverse um Zucker, der einerseits als harmlose Kalorien und schnellen Energieversorger dargestellt wurde, andererseits implizierte er Dinge wie Übergewicht, Karies und Diabetes bis hin zu Hyperaktivität bei Kindern usw.

Die späten Sechziger und Anfang der Siebziger erlebten eine erste grosse Debatte um die Gesundheitsgefahren durch Zucker. Zu der Zeit fingen die Amerikaner an, auf ihre Linie zu achten. Süssstoffe kamen auf und überschwemmten den Markt, eine Bedrohung für die Zuckerindustrie. Doch, halt, konnte man sie unbedenklich konsumieren?? Riesige Summen wurden in die Forschung gesteckt, um das herauszufinden. Man wollte sehen, dass sie schädlich waren, dass Zyklamate Krebs erzeugen, diese Taktik wurde sogar in der Presse eingeräumt. Und wieder werden wir bedroht. Nur existieren heute bessere Untersuchungsergebnisse. Und es dürfte ihnen heute weit schwerer fallen, Kritiker mundtot zu machen. Yoni Freedhoff, ein vehementer Kritiker der Lügen der Lebensmittelindustrie, hat heutzutage die Möglichkeit, von der Ärztekammer Ontario abgelehnte Vorträge einfach ins Netz zu stellen. Wofür er über 200.000 Aufrufe bekam!

Was ist schädlicher, Zucker oder Fett – kontrovers bis heute

In den Sechziger Jahren kam der Kampf der Ernährungswissenschaftler über die Frage auf: Was ist schädlicher, Zucker (lt. John Yudkin)oder Fett (lt. Ancel Keys)? Das rief die Wissenschaftler der Industrie auf den Plan, Fett natürlich! Die Verteufelung des Cholesterins begann, in Butter und Eiern. Butter ist vom Übel, nur Becel-Margarine hiflt gegen zu viel Cholesterin, hiess es in meiner Jugend. Auch meine Mutter schwenkte um. Später kehrte sie reumütig zu Butter zurück… Jedenfalls wurde eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, die wunschgemäss einen Zusammenhang zwischen Zucker und Herzkrankheiten widerlegte. Das Duell der Experten folgte: Keys wurde gegen Yudkin regelrecht als Experte aufgebaut und widersprach Yudkin systematisch. In den Siebzigern glaubte nur eine kleine Minderheit Yudkin und seiner Zuckerthese. Die Mehrheit indes glaubte die These vom bösen Fett. Ich erinnere mich noch, mehr als ein Ei pro Tag sei schädlich, hiess es, und Avocados enthalten ebenfalls zu viel Fett, usw. Nur schmecken fettarme Lebensmittel eben nicht besonders. Wie kann man dem abhelfen? Durch Zugabe von Zucker! Noch heute ist das so.

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40 % der Normalgewichtigen haben dieselben Stoffwechselerkrankungen wie Übergewichtige

Ein besonders beunruhigendes Fallbeispiel ist dieser Ausdauersportler Sami Inkinen, Ruderer seines Zeichens, und seine Ernährung. Er sagte sich damals, Fett ist schlecht, also am besten gar kein Fett essen! 15-20 Jahre lang ernährte er sich stattdessen von industriell verarbeiteten Kohlehydraten inkl. Haferflocken ohne alles, Industriezucker, Snacks, aber keinen Eiscreme, er hielt sich an alle damaligen Ernährungsratschläge. Wobei er 10 Std. wöchentlich Ausdauersport trieb, wahrscheinlich mehr als die meisten Amerikaner. Und was musste er entdecken, als er seinen Blutzuckerspiegel morgens untersuchte?? Seine Glukosewerte waren die ganze Zeit prädiabetisch! Er war entsetzt! Und was war erst mit all den Durchschnittsamerikanern, die sich ganz normal amerikanisch ernährten und nicht stundenlang trainierten?! Alle denken, es ginge nur ums Übergewicht. Aber wer weiss schon, dass 40 % der Normalgewichtigen dieselben Stoffwechselerkrankungen und Dysfunktionen haben wie die Übergewichtigen?! Wegen ihrer Ernährung. Daraufhin relativiert gleich der nächste Experte, ach, wir essen halt alle einfach zu viel, zu viel von allem, Zucker sei nicht an allem schuld oder giftig, fettige Pommes, Chips usw. spielten ebenso eine Rolle. Nicht ganz falsch. Freedhoff darauf:“ Die Hersteller verwenden Zucker, weil er ein billiger Bestandteil der Nahrung ist, weil er zu noch mehr Zucker verführt…“  und weil er fette Profite verspricht. Warum spricht eigentlich niemand in dem Film davon, dass zu viel Zucker zu Vitamin-B-Mangel führt bzw. Heisshunger ein Zeichen von Vitamin-B-Mangel ist, ein Teufelskreis?!

Zuckerindustrie und Tabakindustrie – dieselben Strategien und Manipulationen

40 Jahre später toben immer noch dieselben Kontroversen, selbst Forschung wird wiederholt und diskutiert. Die Zucker- und Lebensmittelindustrie beauftragte damals eine PR-Agentur, einen Plan zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung auszuarbeiten, der auch beinhaltet, nie zu einem (wissenschaftlichen) Konsens zu kommen! Das ist ganz wichtig und bleibt eine Maxime der Branche bis heute – und auch in anderen kontroversen Bereichen (z.B. Glyphosat). Wie ging das vonstatten? Forschung wurde gefördert, Wissenschaftler gesucht, die bereit waren, die Branchenposition zu vertreten. Von Anfang an ging es um eine international konzertierte Aktion. Es ging nicht um ein eindeutiges Pro oder Kontra, sondern darum, die Sache in der Schwebe zu halten, damit die politischen Entscheidungsträger nicht sagen können, „Zucker macht krank“.

An dieser Stelle sehen wir die Parallelen der Debatte über die Schädlichkeit des Zuckers heute im Vergleich zur Tabakdebatte 1960. Brisante Dokumente aus der Tabakindustrie noch von 1994 geben Aufschluss über die Strategien der Branche und sind ein Beleg für deren Zynismus. Nikotin macht doch nicht süchtig! Die Leute haben die Gefahren damals nicht ernst genommen. Als die Infos über die Schädlichkeit der Zigaretten in die Öffentlichkeit kamen – heute kennen wir die Horrorfotos auf den Packungen – konnten sie die Gefahren nicht mehr ausblenden.

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Wie geht die Zuckerindustrie bei ihren Manipulationen vor? Nehmen wir das besonders entlarvende Beispiel der Forschung, die ernährungswissenschaftliche Fakultät der Universität Harvard, der man nur das Beste unterstellen würde. Mitnichten! Diese Fakultät hat seit den Sechziger Jahre Hundertausende von Dollar von der Zuckerindustrie bekommen, wird dem Zuschauer erläutert. Deren Leiter, Frederic Stare, ist zu trauriger Berühmtheit gelangt: Im Dienste der Zuckerindustrie schrieb er Zeitungskolumnen, in der er jede These unterbringen konnte, die die Branche propagieren wollte. In den Siebzigern wurde Stare gar wichtigster Wortführer der Zuckerindustrie, schrieb populärwissenschaftliche Bücher, trat im Frühstücksfernsehen auf und sass im Ernährungsausschuss der American Heart Association. Welchen Einfluss konnte er so auf unsere Vorstellungen von Ernährung und von den Gesundheitsfolgen von Zuckerkonsum ausüben?

Übergewicht kommt angeblich von zu vielem Essen und nicht von Zucker

Die Zuckerindustrie beauftragte Stare dann, eine Studie über Zucker  in der Ernährung des Menschen auszuarbeiten. Stare stellte dafür einen Ausschuss von Wissenschaftlern zusammen, von denen KEINER über Zucker geforscht hatte! Ergebnis dieser Studie war, dass Fett und Cholesterin die eigentlichen Probleme waren – nicht der Zucker! Immer hiess es, Übergewicht wird von zu viel Kalorien verursacht. Übrigens hatte Stare früher auch schon Verbindungen zur Tabakindustrie gehabt… Er hatte der Tabakindustrie klar den Deal erklärt : Ihr gebt uns das Geld und wir sorgen dafür, dass ihr die gewünschten Forschungsergebnisse bekommt! So läuft das, bis heute.

Kinder und Zucker

Wir leben in einem Umfeld, das uns permanent Zucker und Kalorien anbietet. Und viele Menschen können nicht widerstehen. Wir beobachten Diabetes II bereits bei Kindern unter 10 Jahren, Herzkrankheiten bei Teenagern, die Fälle von nicht alkoholischer Fettleber steigen sprunghaft an. Was auch Auswirkungen auf die Lebenserwartung unserer Kinder haben wird. Ist nun ein Glas Fruchtsaft, flüssiges Obst, denn nicht gesund? Was geschieht beim Trinken eines Glases Fruchtsafts? Die Leber wird vom Fruchtzucker plötzlich überschwemmt und wandelt den Zucker in Fett um. So wird bei zu viel Fruchtsaft (oder Limonaden) daraus eine Fettleber. Wenn Kinder weniger Zucker ausgesetzt wären, ginge es ihnen besser, sie wären stabiler und wären sogar weniger Stimmungsschwankungen ausgesetzt, heisst es. Für Eltern ein ständiger Kampf. Zucker besteht aus zwei Molekülen, Glukose und Fruktose (Fruchtzucker). Glukose wird von allen Organen verarbeitet, Fruktose jedoch nur von der Leber, das erklärt alles. Die Lebensmittelindustrie sollte aufhören, uns weiszumachen, es sei bestimmten Lebensmitteln kein Zucker hinzugefügt worden – dabei enthalte ein Getränk wie z.B. Traubensaft schon allein viel mehr natürlichen Zucker! Das Wichtigste sei Transparenz.

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Erste Versuche der Eindämmung des Zuckers in den Siebzigern

Bereits in den frühen Siebziger Jahren gab es wie gesagt jede Menge Aktivitäten zur Eindämmung des Zuckerkonsums, die der Zuckerindustrie eine Heidenangst eingejagt hatten. Doch was passierte dann? George Irvine, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Zuckerindustrie, wurde irgendwie Vorsitzender des staatlichen FDA-Untersuchungsausschusses, der Zucker wissenschaftlich begutachten sollte! Eindeutig ein Interessenkonflikt. Ergebnis: Die FDA hielt sich an den allgemeinen Konsens von Leuten, die sich mit dem Problem Zucker und Gesundheit nicht näher beschäftigt hatten! 16 der Forscher fanden keinen Beweis für die Schädlichkeit von Saccharose (Zucker) für den Menschen! Alle Beweise deuteten auf die Schuld von Zucker hin – doch sie bekamen ihren Freispruch! Die Behörde FDA bestätigte demnach:

–          Zucker führe nicht schuld an Übergewicht sei

–          Zucker führe nicht zu Mangelerscheinungen

–          Zucker habe keine negativen Auswirkungen auf menschliches Verhalten (!)

–          Zucker verursache kein Diabetes

–          Zucker führe nicht zu Herzkrankheiten und Krebs.

Ein sehr frustrierendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass damals erst jeder 41. Amerikaner an Diabetes litt – heute hingegen schon jeder 11. und weltweit jeder 12! Und man schätzt, dass die Todesfälle durch Diabetes weltweit in den nächsten zehn Jahren allein um über 50 % ansteigen werden. Eine gigantische Herausforderung. Das Problem ist eben auch, dass Zucker so in unserem Leben und unseren gesellschaftlichen Ritualen verankert ist, kein Geburtstag ohne Kuchen, kein Sommer ohne Eiscreme.

Staatliche Forschungsetats werden gekürzt – die Industrie springt ein

26 % aller Diabetesfälle in den USA lassen sich allein durch Zucker erklären. Trotzdem braucht es mehr Untersuchungen, solange damit in der Zwischenzeit keine Untätigkeit gerechtfertigt wird. Zum Beispiel verfügen wir heute (!) nicht einmal für Tabak und Lungenkrebs über die grundlegenden Beweise, die die Tabakindustrie verlangt, auch aus ethischen Gründen. Und für Zucker verlangen sie nun ebenfalls eine randomisierte Studie über 50 Jahre. Was verursacht nun Diabetes genau? Die nationalen Gesundheitsinstitute geben lt. Kearns keine Antwort. Auch sind sie z.T. von der Zuckerindustrie manipuliert, und sei es, weil wir uns auf Übergewicht und nicht auf Zucker konzentrieren. Und die Forschung? Heutzutage würde so viel Forschung von der Industrie finanziert, erläutert sie, weil die Regierungen ihre Forschungsetats aus Kostengründen zusammengestrichen haben. Auch heute noch finanziert die Lebensmittelindustrie Wissenschaftler für ihre Forschung über Zucker weltweit. Was selbstverständlich deren Unabhängigkeit in Zweifel zieht. Der entscheidende Unterschied zum Tabak ist jedoch, dass wir keinen Tabak zum Leben brauchen.

Die giftigen Kalorien des Zuckers und der drohende Kollaps der Gesundheitssysteme

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Wie ist die Lage heutzutage? Damals wie heute wird vom Thema abgelenkt und gesagt, wenn man fett wird, sei man selber schuld, weil man zu viel isst. Doch Yoni Freedhoff von der Universität Ottawa weist darauf hin, dass manche Kalorien mehr Krankheiten als andere verursachen und unterschiedlich vom Stoffwechsel verarbeitet würden. Zucker liefere giftige Kalorien. Beispiel: Bei nur einem Glas Limonade am Tag steige das Diabetesrisiko um 29 %, unabhängig vom Gewicht und sonstiger Ernährung! Durch die sich aus falscher Ernährung und Übergewicht ergebenden gesundheitlichen Konsequenzen sprich: Kosten würde früher oder später das Gesundheitssystem zusammenbrechen. Allein die Aufwendungen für Diabetes II seien heute schon astronomisch. Das bedeutet eigentlich auch, dass der Staat dem Treiben der Zuckerindustrie nicht mehr tatenlos zusehen kann. Wegen dieser absehbaren Kostenexplosion haben einzelne Länder inzwischen Massnahmen ergriffen. So hat Japan ein radikales, neues Gesetz erlassen, das „Metabo-Gesetz“: Städte, Dörfer und Unternehmen bieten mit mobilen Teams Gesundheitschecks an. Der Bauchumfang wird beispielsweise regelmässig gemessen. In Japan haben Kampagnen für öffentliche Gesundheit in der Vergangenheit grosse Erfolge gehabt, z.B. zu Schlaganfällen, Salzkonsum. Japaner seien sensibler bei Krankheiten in Zusammenhang mit Übergewicht. Amerika könne von Japan viel lernen.

Was tun?

Welche Auswege könnte es geben? Die Lebensmittelindustrie müsse in die Lösung der Probleme eingebunden werden, aber das hiesse „weniger Geld verdienen“. Damit werden sie nicht einverstanden sein, wie bereits die Erfahrungen mit der Tabakindustrie gezeigt haben. Damals wurde versucht, in Kooperation mit dem Nationalen Krebsinstitut eine „unschädliche“ Zigarette zu entwickeln, erinnert der ARTE-Film, ein Schlag ins Wasser. Ein Beispiel: Eine gesponserte Adipositas-Konferenz in Vancouver, auf der  Konzerne wie McDonald und Coca Cola allein deshalb präsent sind, um mehr von ihren Produkten zu verkaufen! Und fast schlimmer noch: Sponsoren können so Debatten und Forschung beeinflussen. Obendrein riskiert der Verband seine Unabhängigkeit. Besser sind Veränderungen bei Steuern und Vorschriften. Freiwillige Selbstverpflichtung habe nie funktioniert, weder bei Anschnallgurten, noch beim Rauchen, noch in Umweltfragen.

Was passiert? Am 18.6.2014 beendete die amerikanische Herz- und Schlaganfallgesellschaft ihr Gesundheitscheckprogramm. Stattdessen veröffentlichte sie die erste Kanadische Richtlinie, die den Zuckerkonsum deutlich einschränkt. Deren strenge Vorschriften decken sich in etwa mit denen der WHO und dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft.

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Wie ist die Lage in Europa?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ihrerseits, findet Prof. Lustig, ist allerdings ebenfalls eher Teil des Problems als Teil der Lösung, z.B. in der Frage der Fruktosezulassung. Besonders aufschlussreich ist da der Bericht des Crédit Suisse mit dem Titel „Zuckerkonsum am Scheideweg“ (!). Da stehen wir heute. Dort wird empfohlen, höhere Steuern auf gesüsste Lebensmittel und Getränke zu erheben, um deren Konsum zu reduzieren und um die durch Diabetes II und Übergewicht anfallenden Gesundheitskosten zu finanzieren. Das ist der richtige Weg, der allmählich eingeschlagen wird. Es wäre sogar möglich, gesundes, erschwingliches Essen zu subventionieren, heisst es. Das würde jedoch ein grundlegendes Umdenken erfordern.

Erste Massnahmen werden ergriffen: In Frankreich wurde beispielsweise eine Steuer auf Limonaden schon 2013 eingeführt, erst jüngst in breitem Konsens aktualisiert. Wieviel hat sie aber gebracht? Grossbritannien, gefolgt von Irland, hat bereits letzten Dezember eine „Sugar Tax“  auf Limonaden verabschiedet, die im kommenden Frühjahr in Kraft treten soll. Und das wirkt: Schon jetzt werden die Rezepte für die Getränke neu gemixt. Fruchtsäfte, Milkshakes und Jogurtdrinks sind allerdings ausgenommen.

Wie sagte Prof. Lustig zu den Parallelen bei den Taktiken zwischen Zucker- und Tabakindustrie: „Erst ignorieren sie uns, dann lachen sie uns aus, dann bekämpfen sie uns  – und dann gewinnen wir!

Dokumentation von ARTE „Die grosse Zuckerlüge“ vom 13.10.2015, ein Film von Michèle Hozer

Und jetzt trotzdem ein paar verführerische Fotos von Leckerlis aus Istanbul

https://www.youtube.com/watch?v=e3IuGzGuFJg – Die grosse Zuckerlüge – ZDF 2015 ZDF-Zoom

https://www.youtube.com/watch?v=VTCvmUfmXlo

http://www.lemonde.fr/sante/article/2017/10/27/une-nouvelle-version-de-la-taxe-soda-votee-a-l-assemblee-nationale_5206588_1651302.html

http://www.bbc.com/news/health-38212608  (Sugar tax)

https://www.theguardian.com/society/2017/oct/11/big-soda-small-steps-philip-hammond-must-extend-pop-tax-to-sweets

 

 

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