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Giftiger Handel mit Elektro-Schrott

Eine wilde, rauchende Mülldeponie in Westafrika, Kinder stochern darin herum und versuchen, etwas Werthaltiges herauszuklauben. Und wissen vermutlich nicht, dass sie Krebs und Hirnschäden riskieren.
Schon bisher produzieren wir jedes Jahr 50 Millionen Tonnen Elektro-Schrott. Seit drei Jahren aber hat sich die Menge des Elektro-Schrotts fast verdoppelt! Der Handel mit Elektro-Schrott ist ein Riesengeschäft, gar noch lukrativer als der Drogenhandel! Der meiste Schrott geht nach Nigeria und Ghana. Und obwohl der Export von Elektro-Schrott seit über 30 Jahren verboten ist, überqueren jährlich Tausende von Containern die Ozeane bis nach China. Trotz der Krise boomt der Handel mit Elektro-Artikeln und ständig wirft die Industrie neue Artikel auf den Markt. Wir können nicht länger die Augen verschliessen vor diesem Berg von Schrott.

ARTE nahm den interessierten Zuschauer am 20.5.14 mit auf eine Reise um die Welt auf den Spuren des giftigen Handels mit Elektro-Schrott, geschürt von Geldgier und Korruption. Wir vergiften die Böden, das Wasser und die Luft und verschwenden Rohstoffe, die wir in unseren Ländern dringend gebrauchen könnten.

Doch wie gelangt eigentlich diese giftige Flut nach Afrika?

Im Film von Cosima Dannoritzer folgt der Zuschauer zunächst dem Umweltaktivisten Mike Anane in seine Heimat Ghana und zurück nach Europa, in die USA und bis nach Asien. Anhand der Etiquetten auf dem Elektro-Schrott versucht er, die ehemaligen Besitzer wie z.B. Universitäten und öffentliche Einrichtungen ausfindig zu machen. Sie sollten ihren Schrott zurücknehmen und dafür bezahlen, findet er. In Grossbritannien erklärt ihm ein Vertreter der Stadtverwaltung, dass sie die Computer vor 20 Jahren aussortiert hätten. Man überholte die Geräte und spendete sie karikativen Einrichtungen. Heute weiss niemand mehr sagen, wohin sie gegangen sind.

Die Polizei betrachtet den Müllhandel teils zwar als Umweltverbrechen, hält ihn aber nicht für strafrechtlich so relevant wie Mord und Körperverletzung. Ein Interview wird abgelehnt, sie hätten „kein Problem“ mit dem derzeitigen Müllentsorgungsverfahren. Sie hätten damals eine offizielle Recyclingfirma beauftragt, die wiederum mit einer Vielzahl von Subunternehmern kooperierte. Diese sei nicht mehr aufzufinden.

Nach dem Skandal um das Giftmüllschiff das erste internationale Abkommen

Seit dem Ende der Siebziger Jahre ist das illegale Verschiffen und Verklappen von Abfällen im Meer weltweit Praxis. Umweltschützer forderten daraufhin lautstark, dies gesetzlich zu verbieten. Erst ein Riesenskandal rüttelte die Menschen auf und half, ein Abfallgesetz auf den Weg zu bringen.
Dieser begann damit, dass 1986 giftige Verbrennungsrückstände auf einen Frachter in Richtung 3. Welt verladen wurden. Im ersten Hafen Panama wurde er gezwungen, weiterzufahren. Auf Haiti gelang es dem Kapitän, die Hälfte der toxischen Asche aus hochgiftigen Schwermetallen abzuladen und sie als harmlosen Dünger zu deklarieren. Von da an verfolgte Greenpeace das Schiff um die Welt und warnte jeden Hafen vor. Dreimal änderte das Schiff seinen Namen. 27 Monate irrte der Geister-Frachter über die Weltmeere. 1988 schliesslich verschwand die Ladung auf mysteriöse Weise : Sie wurde im indischen Ozean ins Meer gekippt! Weitere Skandale gab es in Afrika. Aus der Empörung ging das internationale Baseler Abkommen hervor, das die grenzüberschreitende Verschickung von Giftmüll inkl. Elektro-Schrott verbot. Bis heute wurde es von 190 Ländern unterzeichnet, selbst von China und Ghana.

Auch die EU hat diese Konvention rechtsverbindlich umgesetzt und verbietet die Ausfuhr von Elektro-Schrott, sämtlicher Elektro-Müll muss in der EU gegen eine Recyclinggebühr im Preis recycelt werden. Auf diese Weise kommen jährlich ca. 4 Milliarden Euro zusammen, für einen Kühlschrank z.B. 20 Euro. Deshalb können wir die Geräte kostenlos zum Recyceln geben.

Die Praxis in einer Recyclinganlage

Mike besucht eine amtlich zugelassene, hochmoderne Recyclinganlage in Europa, die Arbeiter tragen Schutzkleidung. Alle giftigen Komponenten werden vorbildlich bearbeitet. Die Anlagen extrahieren aus den entsorgten Geräten z.B. Kupfer, Eisen, Nickel, Plastik, ganze Leiterplatten. Obwohl es in Europa Tausende hochspezialisierte Recyclinganlagen gibt, die akribisch kontrolliert werden, klagen ihre Betreiber bei nur 25% Schrottanlieferungen über die mangelnde Auslastung. Wie landet trotzdem so viel Schrott in seiner afrikanischen Heimat? Das könne nur über den Schwarzmarkt geschehen. Mike ist geschockt.
Die EU schätzt, dass mind. 67 % des Recyclingmülls nie in einer offiziellen Anlage ankommt! Mike forscht in Spanien nach, wo die Probleme wegen der Krise am gravierendsten sind. In Spanien ist jeder Händler gesetzlich verpflichtet, beim Kauf eines gleichartigen Neugerätes das alte zurückzunehmen und an eine zugelassene Recyclingfirma weiterzuleiten. Probe aufs Exempel mit einem PC : Carrefour lehnt ab, Apple ebenso. Nicht so auf einer städtischen Sammelstelle. Und von dort wieder gestohlen! Die Leute stehlen, um zu überleben. Ein Kühlschrank bringt bis zu 10 € beim Schrotthändler, ein PC 4 €. Es gibt viele Schrotthändler in Spanien, die illegal ausserhalb des Recyclingsystems Schrott verarbeiten.

Wie gelangt nun der Schrott zu den Schrotthändlern?

Zu Testzwecken wurde eine Waschmaschine von Ikea mit einem GPS-Sender präpariert. Ikea wollte sie recyceln lassen. Der eingebaute Sender zeigte, dass das Gerät geschlagene 15 Tage lang kreuz und quer 800 km lang im Raum Madrid herumgekarrt wurde! Endstation ein Schrotthändler am Stadtrand, wo sich indes keine einzige Recyclinganlage befand. Nur vier der insg. 16 verfolgten Geräte landeten bei einer offiziellen Recyclingfirma. Hier wurden also sogar 75 % illegal entsorgt! Allerdings ist kein einziges Gerät ausserhalb Spaniens aufgetaucht. Noch immer wissen wir nicht, wie der Elektro-Schrott in die 3. Welt kommt.

1454523533_7ad8761997In London trifft Mike einen Umweltaktivisten, der ihm erklärt, wie die Hälfte des Elektro-Mülls auf dem Schwarzmarkt landet! Er gibt sich als Mittelsmann eines chinesischen Kunden aus Hongkong aus. Rasch bietet ihm eine grosse Recyclingfirma mit Verbindungen nach Osteuropa 1000 Computermonitore an. Grossbritannien alleine produziert jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen Elektro-Schrott, die Verbraucher bei öffentlichen Sammelstellen abgeben. Schön. Diese Sammelstellen werden aber von privaten Subunternehmern betrieben, die von der Stadt für die Weiterleitung des Schrotts an eine Recyclinganlage bezahlt werden. Doch diese Subunternehmer wollen nur Gewinn machen und verkaufen den Schrott zum Export weiter. „Mostly we sell to people in Africa“, gibt einer dieser Anbieter zu. Man verdient zweimal, einmal durch den Staat und zweitens bekommt man Geld von den Importeuren in Afrika und Fernost.

Die Rohstoffschätze im Elektronik-Müll

Die illegale Verschiffung von Elektro-Schrott schadet jedoch nicht nur der Umwelt, sondern auch der Wirtschaft. Deshalb begannen die EU-Institutionen schon 2008, die europäische Elektro-Schrott-Richtlinie zu verschärfen. 10 % des weltweiten Goldvorkommens wird zu Elektronik weiterverarbeitet, dito Silber und Kupfer. In 20, 30 Jahren wird die Welt eine gewaltige Rohstoffkrise erleben, weiss ein Experte der EU-Kommission. Derzeit gibt Europa jährlich 132 Millionen Euro für den Import strategischer Metalle aus, dabei könnte ein Teil des Bedarfs durch recycelten Elektro-Schrott gedeckt werden.

Der Zuschauer sieht Arbeitern in einer modernen Raffinerie in Belgien bei der Extraktion und der Wiederaufbereitung von Gold, Kupfer und Zinn aus alten Elektrogeräten zu. 50.000 Handys ergeben ca. 1 kg Gold und 10 kg Silber im Werte von 40.000 Euro! Wir sitzen praktisch auf einer Goldmine, von Edelmetallen und auch seltenen Erden. Doch gegenwärtig wird nicht mehr als ein Prozent der Handys in Europa recycelt. Im Januar 2012 verabschiedete das Europaparlament die neue Elektro-Schrott-Richtlinie, um den Verbrauchern die Rückgabe zu erleichtern und strengere Ausfuhrkontrollen in den Häfen einzuführen.

Die Justiz wacht auf

Währenddessen begann die Justiz in ganz Europa zu handeln. 2011 entdeckte die spanische Umweltpolizei eine halbe Million Kühlschränke, die aus dem offiziellen Recyclingsystem abgezweigt und illegal entsorgt worden waren. In Spanien betrachtete man solche Fälle bisher nur als Ordnungswidrigkeit. Ein grosses kriminelles Netzwerk hatte die für die Abfallbeseitigung bestimmten Gelder unterschlagen, die Kühlschränke illegal ausgeschlachtet und so 10 Millionen Euro eingesteckt.
Dann wurde in Frankreich die Firma D3E verurteilt und sogar eine Gefängnisstrafe wurde verhängt. Polizisten hatten ein riesiges Lager mit Elektro-Schrott aus Krankenhäusern, öffentlichen Einrichtungen und Gefängnissen entdeckt. In Frankreich gibt es kein Gratis-Recyceln. D3E aber bot kostenloses Recyceln von Monitoren an, obwohl sie über keinerlei Recyling-Ausrüstung verfügte. Niemand schöpfte Verdacht, da die Firma Quittungen vorlegte, die absolut echt aussahen. Auch gab es keinerlei Kontrollpersonal für Inspektionen, die Firma war nur genehmigungspflichtig. Laut Interpol stellte sich D3E als ein Teil eines riesigen, internationalen Schmugglerringes heraus, der auf drei Kontinenten operierte. Die Monitore wurden an die belgische Firma Mobo mit Hauptsitz in Luxemburg verkauft. Dort entdeckte die Polizei lediglich ein leeres, kleines Büro. Von den Niederlanden ging der Müll nach Hongkong, Vietnam oder in die VAE. Die Anteilseigner von Mobo wiederum sassen in den USA, im Bundesstaat Delaware, einer bekannten Steueroase. Das ganze Netzwerk basierte auf Scheinfirmen, eine Art Mafia. D3E wurde geschlossen, doch Mobo ist weiter im Geschäft und bietet seine Dienste auf der chinesischen Internetplattform Alibaba.com, dem chinesischen E-bay, an, wo Elektronik-Müll frei und über alle Grenzen gehandelt wird.

Interpol erforscht die Tricks der internationalen Schmugglermafia

Der internationale Schmuggel mit Elektronik-Müll hat mittlerweile derartige Ausmasse erreicht, dass bei Interpol eine Sondereinheit eingerichtet wurde, die alle Tricks der Gauner lernt wie z.B. die „Doppelschichttechnik“, mit der legale Waren vorn in den Container gepackt werden und dahinter dann die illegalen Monitore. Der Schmuggel nimmt immer neue Formen an, wie z.B. Schrott als funktionstüchtige Geräte zu deklarieren. Zum Import der Geräte werden dann Beamte bestochen, die die Sendungen einfach durchwinken. Häufig sind die Kriminellen auch im Drogen- und Menschenhandel aktiv oder in Internetkriminalität verwickelt. Schätzungsweise 10 % der Container, die weltweit unterwegs sind, transportieren gesundheitsgefährdende und illegale Waren. Der Grossteil des illegalen Warenverkehrs geht übrigens auf legalem Wege von statten.

Lässt sich in den Häfen etwas ändern?

Vielleicht könnte man den Schmuggel auf Containerschiffen in die 3. Welt von europäischen Häfen aus unterbinden? In Schottland, von wo aus ebenfalls Elektronik-Schrott nach Afrika verschifft wird, erfährt Mike von einem Zöllner, dass der Schrott früher nach Nigeria ging, jetzt indes hauptsächlich nach Ghana. Die Schmuggler ändern z.B. in letzter Minute die Ablegestelle der Container, um eine Prüfung zu verhindern oder benutzen die genannte Doppelschichttechnik. Die Video-Kameras der Zöllner sind nur meist für die 12 m langen Container zu kurz. Die Zöllner verlassen sich also in erster Linie auf die Angaben der Exporteure. Die Vorschriften besagen jedoch, dass wenn auch nur ein Gerät im Container nicht funktioniert, der Export illegal ist und der ganze Container beschlagnahmt wird! Mehr als Stichproben sind aber nicht drin und knapp ist das Personal obendrein.

Gründlicher sind die Deutschen. Im Hamburger Hafen wird bei verdächtigen Geräten und wenn man gleich sieht, dass ein Gerät kaputt ist, der Container nicht verschifft. Einen einzigen Container auszupacken und zu kontrollieren, dauert einen halben Tag, berichtet ein Zöllner. Und das bei 10.000 Containern, die Hamburg jeden Tag verlassen. Schätzungsweise werden von Deutschland aus jede Woche 100 illegale Container in Richtung Ghana verschickt. Es wird klar, dass in Europa weder die Gesetze noch die Hafenkontrollen die illegalen Exporte verhindern können.

Die USA sind die grössten Produzenten von Elektronik-Schrott

imagesDie USA, allen voran die US-Regierung, produzieren mehr Elektro-Schrott als jedes andere Land, jedes Jahr 9,5 Millionen Tonnen, und der Export ist nicht einmal verboten! Ein Grossteil der Geräte wird von Recyclingfirmen z.B. aus sogenannten Recycling-Rallyes für Spenden an karitative Einrichtungen gesammelt. Die meisten amerikanischen Recycling-Firmen recyceln aber nicht, sondern exportieren direkt. Die USA und Haiti sind die einzigen Länder, die das Basel-Abkommen zum Verbot der Verschickung von Giftmüll ins Ausland nicht ratifiziert haben! In der US-Administration werden regelmässig ausgemusterte Geräte versteigert, um Geld einzunehmen. Die Regierung wählt dabei vorschriftsmässig das günstigste Gebot aus, wobei die Geräte fast verschenkt werden. Die US-Umweltbehörde EPA, die sich hier vielleicht nützlich machen könnte, hat jedoch kein Personal, um den Schmuggel zu stoppen. Bekanntlich hat die Umwelt in den USA wenig Freunde.

Was kann der verantwortungsvolle US-Verbraucher tun?

In Seattle z.B. gibt es einen kommerziellen Abholservice, der aber kostenpflichtig ist. Die Geräte kommen dann in ein Recyclingunternehmen, das ca. 1000 Tonnen Elektronik-Schrott pro Monat verarbeitet. Diese Firma bekommt regelmässig Anfragen von zwielichtigen Exporteuren, doch sie verkaufen nicht an die, sagen sie. Man wisse ja nicht, wo die Sachen landen! Sie kooperiert auch mit dem Basel Action Network (BAN), wie Mike erfährt, aber viele andere Firmen sind weniger zimperlich. BAN schätzt, dass pro Tag 20-50 Container die US-Häfen verlassen. Und zwei Drittel der Container mit amerikanischem Elektronik-Schrott steuern Hongkong an!

Alle Wege führen nach China…

Wie sieht es im Hafen von Hongkong aus, dem drittgrössten der Welt? Wieso wird der US-Elektronik-Schrott dort nicht beschlagnahmt und an den Absender zurückgeschickt?? Wenn es nur so einfach wäre! Hongkong sei ein Freihafen, erläutert der Leiter des Zollteams, die Schiffe hätten zwei Wochen Zeit, um ihre Fracht nach dem Einlaufen zu deklarieren. Und wenn der Zoll die Zollerklärungen erhalte, sei die Fracht in der Regel über alle Berge! Immerhin kontrollieren die Zöllner ganz fortschrittlich per Röntgenscanner in zwei Minuten jeden verdächtigen Container. Die Monitore seien deutlich zu erkennen. Falls nötig, werde der Container geöffnet und genau inspiziert. Man schätze, dass jährlich nicht weniger als bis zu 36.000 Container mit Elektronik-Müll den Hafen anlaufen, das entspreche der Frachtmenge von 20 der grössten Frachtschiffe! Und davon würden nur ca. 40 Container abgefangen, zurückgeschickt und ihre Eigentümer strafrechtlich verfolgt. Denn um jeden ankommenden Container überprüfen zu können, bräuchte der Zoll Hunderte von Scannern, was nicht realisierbar ist. Wieder nicht genug Personal und Ausrüstung.

Chinas Umweltschützer verfolgen die Container ins Hinterland

Zum Glück gibt es Chinas Umweltschützer von Greenpeace, die arbeiten mit dem Ausland zusammen und veranstalten publikumswirksame Aktionen. Sie haben den Weg verfolgt, den die Container mit Elektronik-Schrott von Hongkong aus aufs chinesische Festland nehmen, versteckt im Farmland der Northern Territories. Dort lagert die Ware ausgepackt unter freiem Himmel hinter einem Metallzaun. Das ist in China nicht verboten. Von dort wird die Ware weitertransportiert auf das chinesische Festland. Amerikaner und Chinesen müssten hier kooperieren, findet der Chinese. Das sei ein internationales Thema. In Guiyu kein Ortsschild, aber ein typischer Gestank. Guiyu ist nur eine von vielen chinesischen Städten und Dörfern, in denen Berge von Elektro-Schrott illegal recycelt werden. Die Besitzer der Grundstücke kaufen den Müll für wenig Geld im Ausland auf und recyceln ihn dann zu einem Zehntel des Preises (!) mit billigen Arbeitskräften.

Arbeitsteilung beim Recyceln
Jakarta_slumhome_2In Guiyu werden die Geräte gerne in Familienbetrieben ausgeschlachtet. Das Plastik wird nach Sorte recycelt. Dafür riecht (!) ein Mann an einem Stück Plastik. Billiger und effektiver ist es, das Plastik anzuzünden, was aber die Lungen schädigt. Der Zuschauer blickt auf riesige „Drecksäcke“, voll mit sortiertem Müll. Doch gesundheitliche Risiken kümmern nur wenige in diesem Land mit seinem gigantischen Rohstoffhunger, sofern sie es überhaupt wissen. Ein anderer Familienbetrieb ist spezialisiert auf die Extraktion kleinster Mengen Gold, indem die Hauptplatinen von Computern in ein Säurebad getaucht werden, die reinste Giftküche. Und die Säure? Wird einfach in den Fluss geschüttet! Der Zuschauer sieht rostende Fässer an einer Grube oder einem Flussufer. Und im Sommer baden die nichtsahnenden Kinder im schwarzen Wasser des Flusses! Das Grundwasser ist ebenfalls verschmutzt, selbst eine einfache Tasse Tee steckt voller Toxine! Unsereinem läuft es kalt den Rücken runter.

Die Menschen, die ständig Schwermetallen ausgesetzt sind, riskieren Nerven- und Hirnschäden, Hautkrankheiten und einen Anstieg von Missbildungen bei Neugeborenen. Unser Müllproblem wird lieber ausgelagert. Und China opfert seine Umwelt und die Gesundheit ganzer Generationen seinem Rohstoffhunger. Denn seine Industrie benötigt die Rohstoffe aus dem internationalen Elektronikschrott dringend. Chinas Fabriken in den angrenzenden Provinzen Shanghai, Guangdong und Jiangsu kaufen die gewonnenen Rohstoffe sofort auf.

Die umliegenden Fabriken stürzen sich auf die Rohstoffe

Chungking_Mansions_Shops_2_(2013)Oder aber die Chips werden als Ganzes in streng überwachten Werkstätten entnommen, oft von der örtlichen Mafia kontrolliert. Hier werden die Transistoren und Schaltkreise von den Hauptplatinen entfernt. Die Teile werden sortiert und gesäubert – um dann als nagelneue Komponenten zum Wiederverkauf auf den Markt für neue Elektronikgeräte geworfen zu werden! Das bringt noch mehr. Die Teile gehen z.B. nach Shenzen oder Guangdong, dem Paradies der chinesischen Elektronikindustrie, wo ein Grossteil aller Neugeräte weltweit hergestellt wird. Dort herrsche eine Art Goldrausch, Menschen aus ganz China kämen dahin, berichtet ein amerikanischer Einkäufer, der sich dort niedergelassen hat. In Shenzen gebe es über dreissig solche Einkaufszentren, jedes bis zu 6 Stockwerke hoch. Man bekäme alles, schwärmt der Mann. Nur sei es unmöglich zu sagen, ob ein Chip neu sei oder aus einem Stück Schrott stamme. Etiquetten können falsch sein, einfache Chips würden als teure verkauft.

Alt-Chips als Sicherheitsrisiko bei uns

Das kann uns nicht egal sein. Dieser Handel birgt ein enormes Sicherheitsrisiko für uns überall da, wo Chips Menschen in Gefahr bringen können wie z.B. in Flugzeugen, Autos, Atomkraftwerken, Krankenhäusern. IT-Firmen, die Kontrollsysteme oder komplexe Geräte bauen, haben zunehmend das Problem, neue von aufgearbeiteten Chips zu unterscheiden. Nur so können sie garantieren, dass ihre Systeme sicher funktionieren. Deshalb beschäftigen grosse Chiphersteller wie Infineon mittlerweile Prüfer. Infineon ermittelt bereits wegen gefälschter Chips, die in öffentliche Verkehrsmittel eingebaut wurden. Nach einem Monat seien sie explodiert! Die Firma TQ Systems hat daraufhin beschlossen, alle Chips nach Anlieferung zu durchleuchten. Ein Geruch von Zitrone z.B. deutet darauf hin, dass die Oberfläche abgewaschen und dann neu bedruckt wurde. Chips können auch einfach defekt sein, mechanisch beschädigt oder durch die zu grosse Hitze der Bunsenbrenner. Zuverlässige Chips zu bekommen, erfordert auch gute Kontakte, um zu erfahren, wo man besser nicht einkauft und man kann sogar bessere Preise für Originalware bekommen.

Einkäufer aus den Schwellenländern, insbesondere Afrika

Zunehmend werden die Neugeräte aus China von Hongkong aus in die neuen Märkte der aufstrebenden Entwicklungsländer geliefert. In Chongking lebt eine grosse Kolonie indischer und afrikanischer Händler aus Nigeria, Togo, Ghana, Tansania usw. Und damit schliesst sich der Kreis. Ein Händler aus Nigeria fliegt alle zwei Monate nach Hongkong, um gebrauchte Elektronikgeräte einzukaufen und sie nach Afrika zu verschiffen, egal, ob neu, gebraucht oder wieder aufbereitet. Man schätzt, dass 80% der in Afrika verkauften Mobiltelefone von hier kommen. Die afrikanischen Händler rufen bei ihren Landsleuten in China an und geben Bestellungen containerweise auf, für neue oder noch funktionstüchtige Gebrauchtgeräte wie Kühlschränke oder Handys. Der Landsmann macht sich dann auf einem Strassenmarkt zunächst nach Geräten der Chinesen auf die Suche, die in Hongkong täglich weggeworfen werden. Weiter geht es von Geschäft zu Geschäft, wo er prüft, welche Apparate noch in gutem Zustand sind. Elektronikgeräte aus Hongkong geniessen nämlich einen guten Ruf in Afrika.

Zurück nach Ghana und seinem grössten Hafen Tema

4454155260_0feb5ebe23_oIm Hafen Tema profitieren alle vom Elektronik-Müll. Um sich den Zoll zu sparen, stufen die Importeure gebrauchte Geräte bei der Deklaration automatisch als Abfall ein! Natürlich wechseln dabei Geld oder kleine Geschenke den Besitzer. Als erstes bedienen sich die Zöllner selbst. Danach verkaufen die Gebrauchtwaren- und Schrotthändler die restliche Ware. Fast die Hälfte der Geräte sind kaputt oder reparaturbedürftig. Die Käufer bauen darauf, dass sie von dem Rest noch ein paar reparieren können. Die noch funktionierenden flankieren die Strassen von Accra, die dortigen Elektromärkte: Riesige, stahlgraue Gefrier-Kühlkombinationen und Stapel von Monitoren. Die allermeisten Ghanaer können sich keine Neugeräte leisten. Wenigstens wird ihnen beim Verkauf der Altgeräte gesagt, dass sie kaputt sein können. Der Handel boomt trotzdem.

Recyclinganlagen in Ghana, ein Traum

In Ghana im Hafen sollen 75 % der Einfuhrgeräte Gebrauchtwaren sein! Was passiert nun, wenn die Gebrauchtgeräte wirklich hinüber sind? Oft haben sie beim Kauf nur noch eine sehr kurze Lebensdauer. Ghana verfügt über keinerlei Recyclinganlagen, alles landet früher oder später auf wilden Deponien. Die eigentliche Recyclingarbeit erledigen hier die afrikanischen Kinder durch den Verkauf winziger Metallteile, die sie den Geräten entnehmen können. Sollte unsere Recyclingpauschale nicht besser den Personen zugutekommen, die die Geräte tatsächlich recyceln? Und die Gelder nicht besser dazu benutzt werden, moderne Recyclinganlagen in armen Ländern wie Ghana zu bauen??

Der Verbraucher ist gefragt – Schluss mit ex-und-hopp

Oder vielleicht würde ein ganz anderer Ansatz helfen? Am Anfang der Elektronikschrottkette steht der Verbraucher. Nur wenige von uns können dem neuesten Elektronik-Schnickschnack widerstehen und sind gewöhnt, alles nach kürzester Zeit durch ein neues Teil zu ersetzen, selbst in Krisenzeiten. Vielleicht sollte der Verbraucher ein anderes Verhalten an den Tag legen!

In den Fünfziger Jahren konnten die Leute ihre kaputten Geräte noch reparieren lassen. Seit den Sechziger Jahren wird alles beworben und hemmungslos konsumiert. Und der Konsum wächst auch in den Schwellenländern, die uns natürlich nacheifern wollen. Ein Problem ist dabei auch die programmierte Lebensdauer, die sog. geplante Obsoleszenz mancher Elektrogeräte, die oft einem längeren Gebrauch entgegensteht. Der Kunde muss sich eben informieren. Und die Kosten einer Reparatur im Vergleich zum Neukauf spielen auch eine Rolle. Darüber hinaus ist es möglich, noch funktionierende Geräte in Tauschbörsen oder im Internet zu tauschen oder zu verschenken. Sogar die Deutsche Post ist mittlerweile behilflich.

Die Firma ifixit.org hat nun ein besonderes Geschäftsmodell entwickelt, sie arbeitet weltweit an einer längeren Lebensdauer der Geräte durch Reparaturen! Sie schreibt Reparaturanleitungen, verkauft auch Ersatzteile, die bei den eigentlichen Herstellern nicht erhältlich sind. In den Werkstätten der ganzen Welt beginnt sich, eine neue Kultur des Reparierens zu entwickeln. In unseren Städten entstehen bereits mehr und mehr sogenannte „Repair-Cafés“. Das Reparieren könnte ein neuer Trend werden und helfen, den Umfang des Elektronikschrotts zu verringern. Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Rolle als Verbraucher neu zu definieren und zu beginnen, unsere Geräte länger zu benutzen – bevor der ganze Planet mit giftigem Elektronikschrott zugemüllt wird.

WEITERE INFORMATIONEN
http://future.arte.tv/de/giftige-geschaefte-mit-elektromuell (ein Update des Films von 2014)

http://www.sueddeutsche.de/geld/elektroschrott-in-deutschland-jedes-jahr-ein-neues-smartphone-1.1969989
www.ifixit.org
http://reset.org/act/elektroschrott-zu-wertvoll-fuer-die-tonne?gclid=CLPGiMK7qsYCFTDJtAodTYsLWQ
https://www.deutschepost.de/de/e/electroreturn.html
http://www.euractiv.de/ressourcen-und-umwelt/artikel/elektroschrott-richtlinie-tritt-in-kraft-006629 (2012)

2 Comments Post a comment
  1. Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht, ich glaube die wenigsten wissen das doch so viel Elektroschrott in Afrika landet.

    July 18, 2017
  2. Teo #

    Vielen Dank für diesen ausführlichen und besonders informativen Artikel, ich Glaube die wenigsten wissen das doch so viel Schrott in Afrika landet.

    July 18, 2017

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